Das formschlüssige Sichern der Ladung wurde bereits in der Folge 8 behandelt. Nun wollen wir mal den Kraftschluss unter die Lupe nehmen. Was ist unter Kraftschluss zu verstehen, wie funktioniert er und worauf kommt es bei der Ladungssicherung an?
Definition
Kraftschluss ist eine Verbindung zweier Teile über die Fläche, wobei beide Flächen über einen hohen Reibungskoeffizienten verfügen. Wie funktioniert das?
Eine Ladung drückt mit angenommen 10 kg auf eine Fläche. Die Normalkraft ergibt sich aus der Multiplikation der Masse (Beispiel 10 kg) mit der Erdanziehungskraft g (9,81 m/s2).
Die Normalkraft beträgt somit 10 kg * 9,81 m/s2 = 100 N.
Die Normalkraft wirkt immer senkrecht auf die Fläche.
Jede Oberfläche hat eine bestimmte Rauheit, durch die beim Kontakt beider Flächen eine Micro-Verzahnung entsteht. Das Maß wird mit dem Buchstaben µ angegeben und heißt Reibbeiwert.
Wird nun versucht, die Flächen gegeneinander zu verschieben, entsteht durch diese Rauheit eine Gegenkraft. Genau dieser Effekt wird beim Kraftschluss benutzt.
Die Gegenkraft hängt ab vom spezifischen Reibbeiwert µ und wird als Reibkraft bezeichnet.
Gibt z.B. ein Hersteller von LKW-Aufbauten für seine Ladeflächen einen Reibbeiwert von µ=0,3 an, so bedeutet dies, dass für das Verschieben von Paletten der Kraftaufwand 30% der Normalkraft beträgt.
Kraftschlüssige Ladungssicherung
Wie funktioniert nun die kraftschlüssige Sicherung einer freistehenden Ladung von 1.000 kg gegen den Verschub bei einer Vollbremsung mit 0,8 g. (siehe VDI-2700 und EN-12195-1).
Die erforderliche Sicherungskraft beträgt gemäß Regelwerk
FS = m * g * a = 1.000 kg * 9,81 m/s2 * 0,8 g = 8.000 N = 800 daN
Üblicherweise wird eine Ladung mit Spanngurten niedergezurrt. Die Kraft, welche nun dem Verschub entgegen wirkt, besteht jetzt aus zwei Komponenten: die Normalkraft + die Vorspannkraft.
Dabei ist jedoch der Einfluss von drei Randbedingungen zu beachten:
- die Reibkraft FR aus dem Reibbeiwert µ
- der Zurrwinkel α zwischen Anschlagpunkt und dem 1. Umlenkpunkt
- der Übertragsbeiwert/ K-Faktor zwischen beiden Anschlagpunkten
Die Reibkraft
Die Vorspannkraft kann auch wie ein zusätzliches Ladungsgewicht verstanden werden. Das bedeutet, dass auch von der Vorspannkraft nur der Anteil entsprechend dem Reibbeiwert wirkt.
Reibkraft FR = 1.000 daN * 0,3 = 300 daN
Sicherungskraft FS = 500 daN * 0,3 = 150 daN
Summe: 450daN
Zum Verschieben von 1.000 kg wäre also nur eine Kraft von 450 daN erforderlich.
Aus dem Beispiel ergibt sich, dass die Vorspannkraft von 500 daN nicht ausreicht, um die Ladung gegen Verschub zu sichern. Maßnahmen wie Niederzurren ergänzt werden.
Der Zurrwinkel
Eine weitere Randbedingung für die Größe der wirksamen Vorspannkraft ist der Zurrwinkel α, weil nur der senkrechte Anteil der Vorspannkraft wirkt. Der Anteil ergibt sich aus dem Sinus des Zurrwinkels.
Beispiel: bei einem Zurrwinkel α von 80º beträgt der Sinus 0,9961.
Das heißt von den 500 daN Vorspannkraft wirken tatsächlich nur 500 daN * 0,9961 = 498 daN
Der Übertragungsbeiwert
Die Vorspannung, welche mit der Spannratsche erzeugt wird, besteht nur zwischen dem Anschlagpunkt an der Ladefläche und dem 1. Umlenkpunkt. An den Umlenkpunkten reduziert sie sich durch Reibungsverluste. Je mehr Umlenkpunkte, desto größer der Verlust.
Die Summe der Vorspannkraft setzt sich also aus mindestens drei Teilen zusammen:
- Teil 1: Anschlagpunkt – Umlenkpunkt 1
- Teil 2: Umlenkpunkt 1 und 2
- Teil 3: Umlenkpunkt 2 – Anschlagpunkt
Das Ergebnis kann mit dem Übertragungsbeiwert/K-Faktor berechnet werden. Bei einem angenommenen Faktor von 1,5 würde die Summe der Vorspannkraft 500 daN * 1,5 = 750 daN betragen.
Anzahl an Spanngurten
Werden nun dem Beispiel folgend alle Randbedingungen zusammen betrachtet, ergibt sich folgende Rechnung:
FSTF = Vorspannkraft * K-Faktor * sin Zurrwinkel α * µ
= 500 daN * 1,5 * sin35º (0,5735) * 0,3 = 129 daN
Wie viele Spanngurte sind nun notwendig um diese Ladung zu sichern? Hier lässt sich folgende Überlegung anstellen:
800 daN sind zu sichern, davon die Reibkraft von 450 daN abziehen ergibt die Differenz von 350 daN. Diese Kraft muss durch Spanngurte erbracht werden. 350 daN dividiert / 129 daN = 2,7 was bedeutet, es sind 3 Spanngurte erforderlich, um die Ladung von 1.000 kg unter den genannten Randbedingungen zu sichern.
Die Schlussfolgerung ist erschreckend, denn von 500 daN, was an sich schon sehr viel ist, bleibt tatsächlich nur sehr wenig übrig. Daraus sollte der Schluss gezogen werden, dass die kraftschlüssige Sicherungsmethode Niederzurren mit vielen zu beachtenden Randbedingungen behaftet ist und deshalb mit größter Vorsicht angewendet werden muss.
Ein genereller Lösungsansatz ist die Kombination von Niederzurren + Antirutschmatten mit µ=0,6.
Die Erhöhung des Reibbeiwertes ist das entscheidende Element.
Reibkraft FR = 1.000 daN * 0,6 = 600 daN
Vorspannkraft FSTF = 500 daN * 1,5 * sin35º (0,5735) * 0,6 = 258 daN
Sicherungskraft FS = 600 daN + 258 daN = 858 daN
Sicherungsbalance: die tatsächliche Sicherungskraft muss gleich oder größer sein als die erforderliche Sicherungskraft. 858 daN ≥ 800 daN
In der Praxis sieht man häufig genau das Gegenteil. Vermutlich aufgrund fehlender Kenntnis des Wirkungsprinzips.
Ihr Sigurd Ehringer
<< Zum vorherigen Beitrag
Folge 9: Beschleunigungen
Zum nächsten Beitrag >>
Folge 11: Stauplanung im Container
Sigurd Ehringer
✔ VDI-zertifizierter Ausbilder für Ladungssicherung ✔ Fachbuch-Autor ✔ 8 Jahre Projektmanager ✔ 12 Jahre bei der Bundeswehr (Kompaniechef) ✔ 20 Jahre Vertriebserfahrung ✔ seit 1996 Berater/Ausbilder in der Logistik ✔ 44 Jahre Ausbilder/Trainer in verschiedenen Bereichen —> In einer Reihe von Fachbeiträgen aus der Praxis, zu Themen rund um den Container und LKW, erhalten Sie Profiwissen aus erster Hand. Wie sichert man Ladung korrekt und was sind die Grundlagen der Ladungssicherung? Erarbeitet und vorgestellt werden sie von Sigurd Ehringer, Inhaber von SE-LogCon.